Recht und Gerechtigkeit


Ich bezweifle nicht, dass wir in Deutschland, nach heutigem Verständnis, in einem Rechtsstaat leben. Aber es wird immer deutlicher, dass eine beängstigend wachsende Mehrheit in diesem Staat heranwächst, die nicht ohne Grund das Gefühl hat, dass die Rechtsprechung nicht so aufgebaut ist, dass alle in angemessener Weise gerecht behandelt werden. Auch ich bin der Meinung, dass im Zivil- und Sozialrecht nicht alle gleiche Chancen haben ein ausreichend gerechtes Urteil zu erreichen, das die Lebensumstände beider Seiten berücksichtigt. Gleiches gilt ebenso für das Strafrecht, sofern es sich um Geldbußen handelt.

In den ganz wenigen Fällen, in denen ich ein Gericht in Anspruch nehmen musste, habe ich persönlich keine schlechten Erfahrungen mit unserer Justiz gemacht. Das lag aber auch daran, dass ich einerseits selbst recht gut die nötigen Argumente für meine Verteidigung beisteuern konnte, wenn ich oder mein Unternehmen angeklagt wurden, und andererseits die Fähigkeit besaß, die nötigen Fakten bereitzustellen, wenn ich mein Recht verteidigen musste. Deshalb habe ich mich persönlich in unserem Rechtssystem auch selten richtig ohnmächtig gefühlt. (Sehr wohl aber bei sinnlos empfundenen Auflagen und Vorschriften, die mein Unternehmen zu erfüllen hatte. Dies möchte ich hier aber nicht behandeln.) Meine Erfahrungen darf man aber bei einer überwiegenden Mehrheit der Bürger nicht als gegeben ansehen. Und genau hier liegt meiner Meinung nach das Problem, das viele Bürger mit unserem Rechtsstaat haben. Sie fühlen sich ohnmächtig und ohne faire Chance, sich beim dem Gefühl von Ungerechtigkeit erfolgreich wehren zu können. Da kann es eigentlich nicht verwundern, wenn sie folgendes als ungerecht empfinden:

Im Strafrecht

Das Strafrecht nimmt keine Rücksicht auf die vorliegende Lebenssituation des Betroffenen. Das hat zur Folge, dass die ausgesprochenen Strafen für den einen oft nur „Peanuts“ sind, für einen anderen aber die gesamte Existenz damit bedroht wird. Was juckt es z.B. einen sehr Reichen, wenn er durch Fahren mit 75 km/h überhöhter Geschwindigkeit ein Bußgeld von 680€ zahlen muss, 2 Punkte in Flensburg kassiert und 3 Monate Fahrverbot erhält. Er zahlt die Strafe aus der Portokasse, lässt sich dann mit einem Chauffeur fahren, während er auf seinem Laptop die Arbeit erledigt und weiß, dass nach gewisser Zeit die Punkte in Flensburg von selbst verschwinden. Also was soll’s. Für das gleiche Vergehen mit seinem PKW büßt ein LKW-Fahrer damit, dass er 680 € Strafe zahlen muss, wenigstens 3 Monate keinen Lohn mehr erhält und damit in massive finanzielle Schwierigkeiten gerät. Möglicherweise verliert er sogar noch seinen Arbeitsplatz, wenn der Arbeitgeber eine gute Ersatzperson gefunden hat. Auch bei jedem anderen normalen Arbeiter wird die ganze unschuldige Familie in Mitleidenschaft gezogen, die dann dafür sorgen muss, dass der Bestrafte zur Arbeit gebracht und wieder abgeholt werden muss. Anstatt die Lebenssituation angemessen zu berücksichtigen, installierte der Staat ein Punktesystem beim Verkehrszentralregister in Flensburg, als Erziehungsmaßnahme für die eher schwachen unserer Gesellschaft. Viel wirksamer und gerechter würde es sein, wenn alle Vergehen für alle möglichst „gleich schmerzhaft“ bestraft würden. Ich finde dies sollte in der Verfassung festgelegt werden.

Wäre es nicht viel gerechter, wirtschaftlicher und erzieherisch wirksamer, wenn jemand, der die Gesetze der Allgemeinheit (des Staats) missachtet hat, dafür ganz persönlich bestraft würde? Sollte nicht derjenige, unbeeinflussbar durch seine wirtschaftlichen Verhältnisse, seine ganz persönlichen Dienstleistungen der Allgemeinheit kostenlos zur Verfügung stellen müssen. Und zwar alle, egal ob Arbeiter, Unternehmenslenker, Beamter, Politiker, Bischof oder Minister?

  • Wäre es nicht sinnvoller, wenn bei dem zuvor beschriebenen Vergehen, alle gleichermaßen dazu verurteilt würden, z.B. 60 Stunden unter Leitung der Straßenverwaltung den Unrat entlang der Autobahn und Rastplätzen aufzusammeln. Damit hätten dann alle wirklich eine gleiche und gleich spürbare Strafe erhalten. Ich bin mir ganz sicher, dass dann die Raserei auf den Autobahnen deutlich reduziert würde. Das hätte zusätzlich folgende positive Wirkungen: 
    • die Unfalltoten, Verletzen, Invaliden und Waisen würden reduziert, 
    • die Verkehrsstaus würden abnehmen, 
    • die Polizei, die Krankenhäuser, Ärzte und Abschleppdienste würden entlastet, 
    • und die Umweltverschmutzung entlang der Autobahnen würde reduziert. 
  • Wäre es nicht ebenso sinnvoller, wenn jeder, der der Allgemeinheit Steuern hinterzieht, nur ganz persönlich damit bestraft würde, dass er der Allgemeinheit ähnlich wie zuvor dienen müsste, anstatt: 
    • sich mit Geld freikaufen zu können, was manchen Reichen kaum wirklich berührt. Oder er sogar noch günstiger davon kommt, als wenn er alle seine Steuern bezahlt hätte? 
    • sogar Räumlichkeiten und Personal in Haftanstalten dafür zu unterhalten deren Kosten wiederum teilweise durch die Allgemeinheit bezahlt werden müssen? 

Müsste beispielsweise jeder Steuerhinterzieher für jeweils 1.000 € hinterzogene Steuern ganz persönlich nur einen Tag für die Allgemeinheit Arbeiten, z.B. um öffentliche Anlagen oder Toiletten zu reinigen, oder von Hand Schnee zu räumen, wo das maschinell nicht möglich ist, dann hätte ein Uli Höhnes vermutlich bereits nach den ersten 100.000€ Steuerschuld erkannt, dass er diese besser bezahlen sollte, als das persönliche Risiko einzugehen für die Allgemeinheit 100 Tage lang öffentliche Anlagen und Toiletten zu reinigen. Seine Vermögensverwalter hätten ihn ganz sicher rechtzeitig auf diesen Sachverhalt hingewiesen. Die zeit- und kostenaufwändigen Prozesse, erst ermitteln zu müssen wie hoch die Steuerschuld tatsächlich ist, wären vermutlich ihm und auch den ehrlichen Steuerzahlern erspart geblieben.

Im Zivil- und Sozialrecht

Im Zivil- und Sozialrecht ist es der Rechtsstreit selbst, der für den einen nur ein „Peanuts“ ist, den anderen aber in schwere Bedrängnis bringen kann, sowohl was die Kosten aber auch was den Zeitaufwand angeht. Für die reichere und die ärmere Partei ist auch hier der Rechtsstreit nicht gleich „schmerzhaft“. Das führt natürlich dazu, dass Normalbürger zwar theoretisch die Möglichkeit haben gegen mächtige Gegner zu klagen, aber die Vernunft sagt ihnen, doch lieber die Faust in der Tasche zu lassen und ohnmächtig dem Gegner das Feld zu überlassen. Diese Ohnmacht wird dadurch verstärkt, dass sich der mächtige Gegner, in der Regel bereits vor dem Entstehen des Klagegrundes, alles Wesentliche durch Juristen ins „Kleingedruckte der Verträge“ hat schreiben lassen, was der Normalbürger weder verstehen noch abwehren kann. Vor Gericht lässt sich dann der Mächtigere mitunter durch eine Schar hochqualifizierter Anwälte vertreten, sodass die Erfolgsaussichten ohnehin gegen 0 tendieren. Auch ich habe es nicht gewagt gegen die Telekom und Vodafone zu klagen, die mir über ein dreiviertel Jahr die Übertragung meiner Telefonnummern verweigerten. Damit war mir die Nutzung der Telefonnummern unmöglich. Erst nach Einschreibebriefen an die Vorstände von Telekom und Vodafone endete das ewige Hin- und Herschieben der Verantwortung. Trotz entsprechender gesetzlicher Regelungen war ich diesen Gesellschaften fast ohnmächtig ausgeliefert.

Einer Chancengleichheit würden wir sicher sehr viel näher kommen, wenn unabhängig vom Ausgang des Verfahrens für beide Parteien die Kosten des Verfahrens näherungsweise gleich „schmerzhaft“ sein würden. Dies könnte beispielsweise dadurch geschehen, dass die anteilige Höhe der Verfahrenskosten an Einkommen und Vermögen der streitenden Parteien gekoppelt würde. Die praktische Umsetzung wäre im heutigen digitalen Zeitalter sicher kein ernstzunehmendes Problem mehr. Ich glaube, dass dann bereits viele Verfahren vor Prozessbeginn durch Vergleich enden würden und das Gefühl von Gerechtigkeit deutlich gestärkt würde. Die Justiz würde deutlich entlastet, die Allgemeinheit Kosten einsparen und vor allem das Gefühl der Ohnmacht der weniger Mächtigen vor den Mächtigeren erheblich abnehmen.

Die Sonderrechte für den öffentlichen Dienst

Wenn nach Art. 20 (2) alle Staatsgewalt vom Volke ausgehen soll, wie kann es dann gerecht sein, dass dem öffentlichen Dienst ausschließlich Rechte aber keine Pflichten gegenüber dem Volk auferlegt sind? (Art.33 u. 34) In Art.34 ist sogar ausdrücklich vorgeschrieben: „Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes, die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. ….“ Das bedeutet, dass wir Bürger (das Volk) alle Folgen des Fehlverhaltens der Beschäftigten im öffentlichen Dienst selbst zu tragen haben, ohne dass der Verursacher, der für seine Tätigkeiten von uns bezahlt wird, dafür zur Rechenschaft gezogen werden kann.

Das kann die große Mehrheit von uns Bürgern bei bestem Willen nicht als gerecht empfinden.

Parteien bei Bundestagswahlen

Die Parteien selbst können immer noch, ohne Legitimation durch uns Bürger untereinander auskungeln, ob sie nur in einem oder in mehreren Bundesländern antreten. Das tun sie dann natürlich ausschließlich unter dem Aspekt, wie sie ihre Erfolgsaussichten einschätzen. Damit wird uns Bürgern verwehrt, sich bundesweit für die Partei zu entscheiden, deren politische Ziele wir am ehesten unterstützen möchten. Das widerspricht dem Artikel 33 (1) des Grundgesetzes. Danach hat jeder Deutsche in jedem Lande die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. Ich glaube nicht, dass dies dem Willen der Mehrheit entspricht. Mich erinnert das ein wenig an die „freien Wahlen“ in der ehemaligen DDR?

Vertrauen in den Rechtsstaat

Fernerhin bin mir ganz sicher, dass unser Vertrauen in den Rechtsstaat auch gesteigert werden könnte, wenn die Rechtsprechung, sehr viel stärker als bisher, nicht nur auf die Überprüfung und Einhaltung bestehender allgemein gültiger Gesetze, sondern auf die Erzielung von möglichst großer Gerechtigkeit im Einzelfall ausgerichtet wäre. Denn in keinem Gesetz kann ausreichend genau Gerechtigkeit für den Einzelfall beschrieben sein, selbst dann nicht, wenn alle Fakten ungeschönt vorliegen. Deshalb müsste in der Rechtsprechung, besonders in den Folgeinstanzen, der Wille des Volkes laut Verfassung im Vordergrund stehen. Zur Beschreibung eines gerechten Urteils im Sinne der großen Mehrheit der Bürger, müssten sich die Richter in der Urteilsbegründung auf entsprechende Artikel in der Verfassung berufen können und müssen. Der Wortlaut des Gesetzes sollte nur dann als unverrückbare Richtschnur dienen dürfen, wenn nicht durch die Verfassung bereits der Weg zu größerer Gerechtigkeit sinngemäß vorgegeben ist. Der Prozess im Entführungsfall des Jungen Jakob von Metzeler hat deutlich gezeigt, wie weit manchmal das starre Recht der Paragraphen vom Gerechtigkeitswillen der Bürger abweicht und bis heute dennoch durchgesetzt werden muss. (Siehe Internet: Daschner-Prozess). 

Bei Beachtung des Artikels 3 des Grundgesetzes: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich" hätte die Justiz dann zur Verteidigung der Freiheit des kleinen Jakob durchaus Gewalt auf den Peiniger ausüben können. Die Gewalt, die der Peiniger auf den kleinen Jakob ausübte, war ungleich größer als die Gewalt, die auf den Peiniger hätte ausgeübt werden müssen, um das Versteck des Jungen preiszugeben. Ein Leben hätte bei rechtzeitigem Handeln möglicherweise gerettet werden können und Herrn Daschner wäre das moralisch unvertretbare Urteil erspart geblieben.

Grenzen der Freiheit

Wir können uns alle glücklich schätzen, in einem der freiheitlichsten Länder der Erde leben zu können. Aber wirkliche Freiheit für jedermann können wir nur erreichen, wenn wir akzeptieren, dass die Freiheit, die wir für uns in Anspruch nehmen können da ihre Grenzen findet, wo die Freiheit der Anderen mehr beeinträchtigt wird als unsere eigene.

Ich bedauere, dass die Väter und Mütter des Grundgesetzes den damit einhergehenden unverzichtbaren Pflichten von uns Bürgern nur sehr wenig Aufmerksamkeit geschenkt haben und dies der weiteren Gesetzgebung überlassen haben. Wie zuvor bereits umfassend beschrieben, werden die Gesetzte aber nicht durch den Willen der großen Mehrheit festgelegt, sondern dominiert durch mächtige Gruppen im Volk. Dass die Pflichten der Bürger im Grundgesetz nur einen so geringen Raum einnehmen ist wohl dem Umstand geschuldet, dass dem Parlamentarischen Rat durch die Unrechtsherrschaft des 3. Reiches die Festlegung der Rechte der Bürger ungleich wichtiger erschien, als die erforderlichen Pflichten zu benennen. Denn letztlich führten die menschenverachtenden Verpflichtungen und Verbote in dieser Willkürherrschaft dazu, dass das ganze Volk in den Abgrund gerissen wurde.

Damit größtmögliche Freiheit für jedermann nach dem Willen der großen Mehrheit von uns Bürgern definiert wird, sollten in einer neuen Verfassung diese Grundsätze festgeschrieben sein:

  • dass der Freiheit des einzelnen Bürgers da Grenzen zu setzen sind, wo die Freiheit der Anderen mehr beeinträchtigt wird als unsere Eigene. 
  • dass alle Bürger, soweit sie körperlich und geistig dazu in der Lage sind, dazu berechtigt und verpflichtet sind: 
    • für ihr eigenes Leben zu sorgen. 
    • für ihre noch abhängigen Kinder zu sorgen. Die finanziellen Nachteile, die mit den Kindern verbunden sind, jedoch durch den Staat ausgeglichen werden müssen. 
  • dass wir Bürger, in angemessener Weise dem Staat die finanziellen Mittel aus der Nutzung der Ressourcen der Allgemeinheit zur Verfügung stellen müssen, die er zur Umsetzung der Ansprüche und Bedürfnisse der Bürger benötigt. (Steuern und Abgaben), ohne dass der Staat dazu gezwungen ist, den nachfolgenden Generationen die Lasten für einen kreditierten Wohlstand von heute aufzubürden. (Schuldenabbau)